Güntersberg

    (Osiecznica)
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Aktuelles Kreis Crossen/Oder
mit den drei Städten Crossen Bobersberg Sommerfeld
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Güntersberg, das große Dorf an der Fernstraße Nr.5 nach Frankfurt(Oder), liegt nur 4 km nordwestlich von Crossen. Von Crossen kommend fährt man auf der Frankfurter Chaussee.

Schon bald auf der Höhe des Schäferberges erblickt man tief im Tale, von dunklem Wald und grünen Wiesen umrahmt, Güntersberg, eines der schönsten und größten Dörfer unseres Heimatkreises.


Güntersberg hatte bei der letzten Volkszählung im Jahre 1939     1334 Einwohner   und bildete allein den Amtsbezirk Güntersberg.

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      Umgebungskarte
Die Gemeinde Güntersberg besteht aus zwei Teilen:
  1. „Altes Dorf“: ältester Teil des Dorfes - hochwassersicher am Berghang gelegen,

  2. „Neues Dorf“: eine Arbeiter- und Schiffersiedlung an der Frankfurter Chaussee.
Güntersberg, das drittgrößte Dorf im Kreis Crossen, gliedert sich also in ein historisches Kossäten-Dorf links und in eine recht junge Schiffer- und Arbeitersiedlung mit Geschäfts- und Industrieviertel(Scheiffgen-Gohr`sche Tuchfabrik) rechts der Biele.

In Güntersberg gab es für die Jahre bis zum 2. Weltkrieg zwischen 25 und 30 recht ansehnliche Bauernwirtschaften mit zusammen 838 Morgen Acker, 579 Morgen Wiese und 1159 Morgen Wald. Die Bauernwirtschaften waren zwischen 60 und 155, im Durchschnitt 100 Morgen groß.

Man kann also bei Güntersberg, in dem ja auch eine Tuchfabrik stand, wahrlich von einem Bauern-, Schiffer- und Arbeiterdorf sprechen.


  • zur Geschichte des Ortes

Die ursprünglich slawische Siedlung, auf Wendisch „Osnetnice“ genannt, wurde angeblich bereits 1202 als Besitz des schlesischen Klosters Leubus bestätigt. Für Güntersberg und Münchsdorf ist jedoch nachweisbar, dass hier die Gemarkungen vom frühen 13. Jahrhundert ab einem Mönchskloster gehörten.
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Wie es dazu kam, das hat bereits 1962 der anerkannte Geschichtsprofessor Walter Kuhn, der zunächst in Breslau und nach dem Kriege in Hamburg lehrte, mit seiner Veröffentlichung „Kirchliche Siedlung als Grenzschutz 1200 bis 1250“ nachgewiesen:

In Ostmitteleuropa trennten bis zum Jahre 1200, so führte Professor Kuhn aus, unbesiedelte Waldgürtel die einzelnen Herrschaftsgebiete. So war es auch an Bober und mittlerer Oder, wo das Herzogtum Schlesien an die Markgrafschaften Meißen und Brandenburg grenzte.


Da ganz genaue Grenzen nicht bestanden, errangen jene Fürsten Gebietsgewinne, die ihre Siedler in die Grenzwälder eindringen ließen. Herzog Heinrich I. der Bärtige, der Ehemann der späteren Heiligen Hedwig, bemühte sich, sein Grenzland zu erschließen, indem er u.a. bei Crossen und auch westlich der erst später gegründeten Stadt Frankfurt/Oder Gebiete zur Besiedlung an Klöster und an den Templerorden vergab.

So bestätigte er wohl 1202 die Schenkung des Raumes von „Osnetnice“ - das ist das Gebiet beiderseits der Oder in der Gegend der Biele-Mündung - an das Kloster Leubus. Dieses Kloster liegt rechts der Oder zwischen Breslau und Glogau, wurde 1175 gegründet und ist die Keimzelle aller späteren Zisterzienser-Klöster in Schlesien.
Die Leubuser Mönche legten ab 1226 bei den wohl schon vorhandenen kleinen slawischen Siedlungen Zarbie und Ossechnice die deutschen Dörfer Mönchsdorf oder Münchsdorf und - nach einem langjährigen Abt benannt - Güntersberg an.
Sie setzten jedoch keine Bauern an, sondern bewirtschafteten das Land am Westhang der Crossener Berglehne vermutlich mit Laienbrüdern und verpflichteten Arbeitskräften.

Als Platz für ihr Dorf wählten die klugen Mönche den hochwassersicheren zu den Rabenbergen ansteigenden Hang ostwärts (links) der Biele-Mündung. Dieses „Alte Dorf“, so wurde es bis 1945 genannt, entwickelte sich an einem Straßendreieck. Es wurde mit einem „Krug“ und 1231 wahrscheinlich am Südrand mit einer Kirche versehen. Sicherlich lag nahebei der Verwaltungssitz der Klosterbrüder, möglicherweise am Platz des „Alten Vorwerks“, von dem man das Siedlungsgebiet überschauen konnte und in dessen Nähe dann jahrhundertelang die Windmühle stand.

Vielleicht haben sie von hier aus auch das jenseits der Oder gelegene Gebiet von Münchsdorf und Sorge regiert. Ihre kolonisatorischen Aktivitäten wirkten sich bis in die Gegenden von Messow und Zettitz, wo die Überlieferung ihnen die Anlage der ersten Karpfenteiche nachsagt, aus.
Die wirtschaftliche Außenstelle des Klosters Leubus bestand über 300 Jahre, Sie überdauerte den Anschluss des Crossener Landes an Brandenburg (1482). Der letzte katholische Kurfürst Joachim I. bestätigte den Mönchen noch 1523 bestimmte Rechte.

Seine evangelischen Nachfolger jedoch überführten die Klostergüter bei Crossen dem Zuge der nachreformatorischen Zeit folgend in ihren Besitz. Sie wurden Teile des kurfürstlichen Amtes Crossen, das dadurch auf etwa ein Viertel der Fläche des späteren Kreises Crossen anwuchs.
Dieses kurfürstliche Amt ließ die Besitzverhältnisse in Güntersberg zunächst unverändert. Vermutlich verwaltete sie die einstigen Klosterländereien vom Vorwerk und einer Försterei aus.

In der Klassifikation 1718/19 wird Güntersberg wie folgt erwähnt:

Güntersberg gehörte 1718 bereits dem Königlichen Amt Crossen. Es gab dort nur 32 Gärtner und 2 Büdner, aber keine Bauern.

Von den Güntersberger Hofbesitzern stand geschichtlich betrachtet keinem der Titel „Bauer“ zu. Sie waren wie ihre Kollegen in Münchsdorf lediglich in jüngerer Zeit zu Landbesitz gekommene „Kossäten“. Das ist unser heimischer Ausdruck für das niederdeutsche Wort „kotsete“, den Besitzer einer „Ketten“ oder „Kate“, der im Zeitalter der Leibeigenschaft überwiegend für die „Herrschaft“ schuften musste und meist nur am Abend und am Feiertag aus seinen eigenen wenigen Morgen Land einen Ertrag schöpfen durfte.

Dazu kamen mit einer Hufe Land die Amtsmühle (Kornmühle) und die Schneidemühle. Es gab noch einen Schulmeister ohne Land. In jedem Jahr wurde der Acker bestellt. Wiederholt riss die Oder Land weg, und so wurde Pachtland in der Königlichen Heide genutzt. Die Weide war eine halbe Meile vom Dorf entlegen und war, wie die Viehzucht, nur mittelmäßig.

Zehn der Gärtner hatten Weinberge, die oft nur die Hälfte oder gar ein Drittel Ertrag brachten. Gegen eine halbe Scheffel Hafer konnte Lagerholz in der Königlichen Heide erworben werden.
Die Fischerei in der Oder war verboten. lm Ort gab es einige Bienenstöcke. Der Krüger verschänkte im Jahr etwa 75 T. Krossener Bier. Es wurden Roggen, Hirse, Hafer, Leinen und Hanf angebaut. Der Heugewinn aller Gärtner betrug 205 kleine Fuder.


Im Bratring 1806 wird Güntersberg wie folgt erwähnt:
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      Bratring 1806
  ♦ In Güntersberg gab es 32 Gärtner, 28 Büdner und 19 Einlieger.

  ♦ einen königl. Hegemeister des Forstreviers Braschen.

  ♦ eine Wasser- Mahl- und Schneidemühle.

  ♦ Güntersberg hatte:  72 Feuerstellen  457 Einwohner.

  ♦ Das Vorwerk hat die Gemeinde in Erbpacht.

Eine bemerkenswerte Veränderung brachte diese nächste erhaltene statistische Veröffentlichung von 1806. Danach hat diese „Gemeinde“ inzwischen das gesamte Amtsvorwerk, dessen Größe nicht angegeben wurde, in Erbpacht.
Daraus ist zu folgern, dass die königliche Verwaltung nach der Reformation durch Verpachtung des „Klostererbes“ die Entwicklung lebensfähiger Landwirtschaften eingeleitet hat. Sicherlich sind diese Pachtländereien dann bei der schrittweisen Durchführung der Stein'schen Reformen in den Besitz der Güntersberger Landwirte übergegangen. Aus den Kossäten wurden praktisch Vollbauern.

Ferner wohnten jetzt 28 Büdner- und 19 Einlieger-Familien in Güntersberg. Sie dürften den Bewohner-Grundstock abgegeben haben für das „Neue Dorf“ nordwestlich (rechts) der Biele und südwestlich (links) der 1817/18 zur festen Chaussee ausgebauten alten Heer- und Handelsstraße Breslau – Crossen – Frankfurt/Oder - Berlin.

Dieses „Neue Dorf“ mit Gasthaus und Geschäftsviertel an der Frankfurter Chaussee entstand höchstwahrscheinlich erst im 19. Jahrhundert. Sein Wachstum wurde durch die Industrialisierung und die eng damit verbundene Entwicklung der Oderschiffahrt hervorgerufen. Dafür sprechen die Art der Anlage der Straßen und die Bauweise der Häuser.
Noch bis 1945 wohnten alle Bauern im „Alten Dorf“ und 85 Prozent der Schiffer im „Neuen Dorf“. Die größeren Bauernhöfe der Jahrzehnte vor 1945 sind erst nach 1815 durch Aufsiedlung des Amtsvorwerks entstanden.

In der “Topografischen Übersicht des Reg.Bez. Frankfurt/Oder” aus dem Jahre1840 erscheint:

  ♦ Güntersberg: hatte im Jahre 1840      86 Wohngebäude und 707 Einwohner.
  ♦ Güntersberg: war ein Dorf zum Rentamte Crossen mit 1 Windmühle, 1 Oberförsterei und 1 Schäferei.
  ♦ Heidemühle: Wassermühle und Fabrik-Etabl.     8 Wohngebäude mit 97 Einwohnern.
  ♦ Chaussee-Wärterei: ein einzelnes Haus mit 10 Einwohnern.

Für das Jahr 1852 werden genannt:

   •  Güntersberg: Dorf mit 810 Einwohnern, Oberförsterei und Schäferei zum Rent-Amte Crossen.
   •  Chaussee-Wärterei: einzelnes Haus zu Güntersberg mit 6 Einwohnern.
   •  Heidemühle: Wassermühle und Fabrik- Etbl. mit 161 Einwohnern.

Im Riehl und Scheu "Berlin und die Mark Brandenburg …" von 1861 wird geschrieben:
  • Güntersberg: 88 Häuser, 729 Einwohner
  • Holzwärterei:  1 Haus,   6 Einwohner
  • Chausseewärterei:  1 Haus,   12 Einwohner
  • Heidemühle : 10 Häuser, 147 Einwohner - bedeutende Tuchfabrik Gohr
  • Oberförsterei:  1 Haus,  13 Einwohner
  • Schäferei :  1 Haus,   6 Einwohner

  • Die Kirche in Güntersberg

Die Kirche, ein Fachwerkbau von rechteckigen Grundriss, wurde nach der auf der Nordseite der Nordwestecke am Sockel angebrachten Jahreszahl zu schließen, im Jahre 1816 fertiggestellt. Sie hatte ursprünglich an beiden Seiten des Daches hölzerne Turmaufbauten.Von den beiden hölzernen Türmen über der Ost- und Westfront hat man den östlichen im Jahre 1906 angeblich wegen Baufälligkeit entfernt.
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      Kirche in Güntersberg
Auf dem Platz im Süden des „Alten Dorfes“ stand sicherlich auch jenes Gotteshaus, das bereits 1231 urkundlich erwähnt wurde. Auf die historische Entwicklung des Ortes ist es wohl zurückzuführen, dass die große Gemeinde nie zu einem eigenen evangelischen Pastor kam. Sie blieb kirchlich eine „Tochter“ des viel kleineren Eichberg. Der Staat in Gestalt des kurfürstlich-königlichen Amtes war halt kein aufs Prestige bedachter und ausgabefreudiger Kirchenpatron.

In den „Kunstdenkmälern der Provinz Brandenburg Teil 6 Crossen“ wurde die Kirche wie folgt beschrieben:

Die basilikalische Anlage des Äußeren kommt im Innern, das in den Seitenschiffen flach gedeckt ist, während das Mittelschiff eine Voutendecke zeigt, weniger zur Geltung.
Der Fußbodenbelag besteht aus Backsteinen. Die Lichtöffnungen sowie die in der Mitte der Ost-und Nordseite vorgesehenen Türen sind recht eckig gestaltet. Die gesamte innere Ausstattung einschließlich der auf drei Seiten eingebauten, durch Aufgänge an der Nordost-und Südostecke zugänglichen Emporen ist braun gestrichen.
Der schlichte Kanzelaltar steht im Westen. Die hölzerne Taufe zeigt einfache, aber typische Empireformen. Das Orgelgehäuse ist neugotisch. Verschiedene Totenkränze und Erinnerungsblätter an Verstorbene hängen an den Wänden.


  • Das Dorfleben in Güntersberg

In Güntersberg , dem großen Dorf nahe Crossen an der Fernstraße nach Frankfurt (Oder), gab es eine gesunde Infrastruktur.
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  1. Im Winter, wenn genügend Schnee lag, holten die Güntersberger Schulkinder ihre Rodelschlitten hervor, und zogen sie zum Rabenberg, der hinter dem Vorwerk und dem Friedhof an der Oder lag. Das war für manche Jungen und Mädchen, die aus dem Neuen Dorf und bis vom Tivoli kamen, ein weiter Weg. Doch der machte niemand etwas aus.
    Beim „Hochbetrieb“ auf dem Rabenberg wollten alle dabei sein. Selbst jene, die keinen Schlitten besaßen, kamen und setzten sich bei Freunden hinten drauf. Einzeln, zu zweien und sogar zu dreien ging es mit Geschrei in schneller Fahrt den Berg hinunter bis zur Oder. Dort angekommen stapften alle sogleich wieder zur nächsten Tour bergan. Der Heimweg wurde erst angetreten, wenn es schon fast finster war.

  2. Wenn eine Stätte reich an schönsten Erinnerungen ist, so ist es Helbigs Gasthof. Was für herrliche Stunden wurden dort erlebt! Wer denkt da nicht zurück an die wunderschönen Elternabende der Schule, von denen die Schiffer berichteten, dass den ganzen Oderstrom entlang davon gesprochen wurde?
    Und wenn im Winter die Schiffahrt zum Stehen kam, wenn die Schiffer für wenige Wochen heimkehrten zu den Ihrigen, was war das doch für eine herzliche Freude des Wiedersehens beim Ball der Schiffseigner und beim Schiffervergnügen!

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          Güntersberg - Gasthof Helbig
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          Güntersberg - Festumzug
    Krieger- und Radfahrerverein legten ihre Feste auch in die Winterzeit, weil viele Mitglieder dieser Vereine der Schifferbevölkerung angehörten. Auch der Fabrikerball wurde in der Winterzeit veranstaltet. Den Höhepunkt aller Vereinsfestlichkeiten bildete aber doch zumeist zum Abschluß das Stiftungsfest des Männergesangvereins „Liedertafel“.
    Mit welcher Innigkeit und Begeisterung wurden die sorgfältig eingeübten gesanglichen und theatralischen Darbietungen zum Vortrage gebracht und anschließend daran in höchster Feststimmung bis zum frühen Morgen getanzt.

    Herrschte nicht in Güntersberg trotz seiner beruflich gesehen so unterschiedlichen Bevölkerung dennoch der Geist einer wahren Dorfgemeinschaft, der sich in Freud und Leid immer wieder neu bewies.

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          Güntersberg hatte zwei Kriegerdenkmäler
  4. In Güntersberg gab es einst zwei Kriegerdenkmäler: Das ältere, ein Findling mit einem daraufgesetzten, seine Schwingen ausbreitenden, preußischen Adler, erinnerte an die in den deutschen Einigungskriegen 1864, 1866 und 1870/71 gefallenen Einwohner. Das jüngere, ein aus Quadersteinen gemauerter Pyramidenstumpf, war den Toten des Ersten Weltkrieges 1914/18 gewidmet.
    Der Denkmalplatz mit den beiden Monumenten lag im sogenannten Neuen Dorf, ein Stück westlich der »Reichsstraße 5«. Dort fanden Veranstaltungen, z. B. am 1. Mai statt. Die dürften gelegentlich auch Volksbelustigungscharakler gehabt haben. Denn die Güntersberger nannten den Platz auch »Tivoli«.

    Nach den Berichten deutscher Besucher standen die Denkmäler 1973 noch am alten Ort. Nur die Tafel mit den Namen der Gefallenen des Ersten Weltkrieges hatten die polnischen Einwohner entfernt.
    1983 fand aber der damalige Heimatkreisbetreuer Heinz Schulz die Gedenksteine nicht vor. Sie dürften bereits Mitte der 1970er Jahre abgerissen worden sein.

  • Die Staatsforst Güntersberg

Wer die Landkarte vom Kreis Crossen studiert, findet darauf zwei Staatsforsten, den von Braschen und den von Güntersberg. Der Braschener ist ein ziemlich geschlossenes Gebiet, das sich zwischen dem Bober und der Gubener Kreisgrenze von der Strieming-Niederung bei Merzwiese im Norden bis zu den Chigonken-Bergen bei Jähnsdorf im Süden erstreckt.
Die Königliche Oberförsterei Güntersberg verwaltete alle nördlich der Oder gelegenen staatlichen Wälder. Die Staatsforst Güntersberg, dessen Verwaltungssitz unweit des Weißen Berges gelegen war, umfaßte drei voneinander getrennten Teile. Dazu gehörten:
  1. das Waldgebiet zwischen Messow, Eichberg und Güntersberg, dessen zentraler Punkt gewissermaßen die Oberförsterei war.
  2. der Raum zwischen Straube, Murzig und Rädnitz, in dem der Heydesee liegt und der im Nordosten durch die Bahnstrecke Rothenburg-Reppen begrenzt wird, trägt auch den Namen „Staatsforst Güntersberg“.
  3. schließlich findet man auf der Kreiskarte zwischen Rädnitz und Bindow beiderseits der unteren Griesel ein seenreiches Waldgebiet mit der Bezeichnung „zum Forst Crossen“. Hier handelt es sich gewiß um das Revier der Försterei „Groß-Rädnitz“, das auf der Karte 1:25 000 ebenfalls als zum Staatsforst Güntersberg gehörig ausgewiesen ist.
Forst Güntersberg Gebiet 2 Gebiet 3
Gebiet 1 : Güntersberg selbst Gebiet 2 : zwischen Straube und Rädnitz Gebiet 3 : zwischen Rädnitz und Bindow
lhre geografische Lage macht die beiden Staatsforsten zweifelsfrei als Überbleibsel des Königlichen Amtes Crossen erkennbar. Schon die schlesischen Herzöge behielten in der Nähe der Oderstadt einigen Eigenbesitz. Diesen nicht an Lehnsmänner vergebenen Raum vergrößerten später die Hohenzollern zielstrebig.
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      Oberförsterei Güntersberg

Sie kassierten im Zuge der Säkularisation Klosterbesitz ein und vergaben ihrer Adelsfamilien ledig gewordene Güter nicht neu. So entstand und wuchs das Königliche Amt Crossen. Dies umfaßte schließlich südlich der Oder den geschlossenen Raum westlich des Bobers bis zu den Chigonken-Bergen und einschließlich der Amtsstadt Bobersberg sowie unmittelbar nördlich des Stromes einen durch einige Ritterdörfer (Kähmen, Lochwitz und Merzdorf) und die Kreisstadt mit ihrem Kämmereidorf Hundsbelle zerstückelten Geländestreifen von Bindow bis Pollenzig.

Durch die Stein'schen Reformen in der ersten Hälfte der 1800er Jahre wurde die bäuerliche Bevölkerung frei. Der preußische Staat aber behielt vom Königlichen Amt einiges Domänenland (Sorge) und die Forsten. Deren Bewirtschaftung organisierte er in Form der beiden Königlichen Oberförstereien, die später den Titel „Forstämter“ erhielten.

Als Chef des Staatsforstes Güntersberg war vielen Kreis-Crossenern der Forstmeister Delvaux noch in guter Erinnerung, dem vor einigen Jahren unser Landsmann Rudolf Zeidler in den "Heimatgrüßen“ in Form eines Artikels ein „journalistisches Denkmal“ setzte. Sein Vorgänger von 1909 bis 1919 war der Forstmeister Ulrich von Ilten. Dieser stammte vom Rittergut Gestorf bei Hannover. Er starb 1952 im Alter von 88 Jahren in Hannoversch-Münden.


  • Die Gohrsche Tuchfabrik

Die große Gemeinde Güntersberg, 5 km nordwestlich von Crossen an der Chaussee nach Frankfurt(Oder) gelegen, beherbergte nicht nur Schiffer und Landwirte. In ihr fand auch von 1829 bis zum Ende des 2. Weltkriegs Textilproduktion statt. Güntersberg war damit in gewisser Hinsicht ein Industriedorf.
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      Die Biele vor der Gohrschen Fabrik

Dort, wo wir heute die Gohr'sche Tuchfabrik finden, stand vordem die Heidemühle, eine Mahl- und Schneidemühle. Wer sie erbaut hat, ob es die Zisterziensermönche waren, die seinerzeit in Güntersberg angesiedelt wurden, wer vermag das zu sagen!
Diese Tuchfabrik stand in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts in engster Beziehung zu dem Weberhandwerk in der Stadt Crossen. Im Jahre 1811 gab es in Crossen 50 Tuchmacher mit 60 Handwebstühlen. 1844 war die Zahl der Tuchmacher auf 75, die der von ihnen bedienten Handwebstühle auf 158 angewachsen.

Um 1825 war in Crossen und Umgebung der Unternehmer Christian Scheiffgen aktiv, der 1790 in Köln geboren wurde und als Mechanikus weit in Europa herumgekommen war. Er erbaute in der Kreisstadt Crossen eine Wollspinnerei.
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      Bielewehr: Wasserkraft für die Gohrsche Fabrik

1828 ging die Heidemühle in Güntersberg durch Kauf in Scheiffgens Besitz über. Um die Wasserkraft der Biele auszunutzen, wurde der Betrieb von Crossen nach Güntersberg verlegt und hier anstelle der Mühle die Fabrik gebaut. Zu diesem Zwecke kaufte Scheiffgen vom Staat ca. 200 Morgen Wald und errichtete eigens zum Bau der Fabrikgebäude und der Arbeiterhäuser eine Ziegelei.
1829 erwarb er dann auch das ehemalige Eisenhüttenwerk Neubrück bei Deichow mit der Wasserkraft des Bobers.

In Neubrück wurde eine Tuchwalke und eine Appreturanstalt errichtet. Diese Erweiterung des Betriebes kam den Crossener Tuchmachern sehr zustatten. Sie konnten nun ihr Garn in Güntersberg spinnen und die von ihnen gewebten Tuche in Neubrück walken und appretieren lassen.

1839 heiratete der in Köln am Rhein geborene Johann Arnold Gohr die Tochter des Kommerzienrats Scheiffgen. Der Schwiegersohn wurde 1842 Teilhaber der nunmehr benannten Firma "Scheiffgen und Sohn". Diesen Namen trägt die Firma noch bis 1945. 1848 starb der Gründer der Firma im Alter von 58 Jahren. In demselben Jahr wurde eine Arbeiterwehr zum Schutze der Fabrik in der Revolutionszeit gebildet, zu deren Bewaffnung es jedoch nicht kam.

Weil die Crossener Tuchmacher mit den immer mehr aufkommenden Tuchfabriken nicht mehr konkurrieren konnten, ging die Tuchmacherei in Crossen nach und nach zurück. Dadurch fand die Firma Scheiffgen und Sohn nicht mehr ausreichende Beschäftigung und begann eine Herstellung von Tuchen auf eigene Rechnung.
Dazu ließ Gohr in Güntersberg 1856 an die Spinnerei ein großes Gebäude anbauen, in dem er eine Weberei mit mechanischen Webstühlen und eine Appretur einrichtete. Noch im gleichen Jahrzehnt entstanden nahe der Chaussee Crossen-Frankfurt (Oder) ein großes Wollagergebäude und eine Färberei. Somit war bereits um 1860 eine Volltuchfabrik an der Biele geschaffen.

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      Wohngebäude der Familie Gohr
Die nächste Generation der Güntersberger Fabrikantenfamilie repräsentierte Arnold Josef Gohr (1849 bis 1931). Der war bemüht, sich der Nachfrage auf den Märkten anzupassen, und stellte bereits gemusterte Stoffe her. Allerdings konnte sein Betrieb mit der schnell wechselnden Mode manchmal nicht Schritt halten. Einen großen Teil der Produktion nahm deshalb weiterhin einfarbiger Stoff ein. Immerhin stieg der Umsatz. Dadurch reichte die Wasserkraft nicht mehr aus.
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      Dampfmaschine - 1936 installiert

Daher wurde 1883 in Güntersberg eine Dampfmaschine aufgestellt und die Walk- und Appreturanstalt von Neubrück nach Güntersberg verlegt. Der Betrieb wurde dadurch vereinigt. Das Besitztum in Neubrück wurde verkauft.

Die Fabrik war dann bis zum Ende des 1. Weltkriegs stets voll ausgelastet. Es arbeiteten bis einhundert Männer und Frauen in der Spinnerei, an den Webstühlen, in der Walke und in der Färberei. Die schwierigen Jahre nach dem 1. Weltkrieg brachten auch für die Firma “Scheiffgen & Sohn“, so hieß sie immer noch und weiterhin, manche Krise. Arnold Gohr wurde jetzt von seinem 1887 geborenen Sohn und Erben Friedrich Gohr unterstützt.

Hervorgehoben zu werden verdient noch, dass die Fabrikinhaber stets bemüht waren, die soziale Lage ihrer Arbeiter zu verbessern. 1849 wurde bereits eine Fabrikkrankenkasse gegründet, 1880 eine Alters- und Invalidenversicherung. Deren Kapital ist in der Inflationszeit leider verloren gegangen.

1933 war eine neue Herausforderung zu meistern. Den Tuchfabriken war die Verwendung von Reißwolle (Lumpen) auferlegt. Die Einfuhr von Rohwolle war aufgrund der Devisenknappheit kontingentiert worden. So wurden nun neben den guten Zivilstoffen Skitrikots hergestellt. Sie bestanden aus Baumwolle und der Reißwolle.
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   Fritz Gohr (1887 - 1960)

In den 1930er Jahren führte die Vergrößerung der Wehrmacht dazu, dass in der Fabrik auch wieder Militärtuche hergestellt wurden. Im Jahre 1937 konnte Fritz Gohr eine neue Dampfmaschine kaufen, das Werk besaß nun eine moderne Kraftanlage.

Bei Kriegsbeginn geriet das Unternehmen in eine schwierige Lage. Viele männliche Betriebsangehörige wurden eingezogen. Für viele überraschend wurde im Jahre 1942, also mitten im Krieg, durch eine Regierungsverordnung die Fabrik stillgelegt. Begründet wurde diese Maßnahme mit den weiten Transportwegen, die notwendig waren, um die Produkte an den gewünschten Ort zu bringen.

Der Besitzer der Tuchfabrik, Fritz Gohr, wurde noch einmal Soldat. Er arbeitete in der Wehrkreisverwaltung zunächst in Crossen, später in Frankfurt (Oder). Ende Januar 1945 floh die Familie Gohr in letzter Minute vor dem Anrücken der Roten Armee.

Den Sowjets fielen die Fabrikgebäude, das Wohnhaus und auch die Ställe der nebenbei betriebenen Landwirtschaft unbeschädigt in die Hände. Es wurde auch nicht gezündelt wie an andern Orten. Die Russen sollen das Anwesen noch zwei Jahre in Besitz gehalten haben. In dieser Zeit wurden die Webstühle und die Maschinen demontiert und abtransportiert.

Die Polen übernahmen dann die leeren Hallen und die anderen Gebäude. Sie wurden zunächst mehr oder weniger verschiedenartig genutzt. So wurden die Fabrikhallen als Lager für landwirtschaftliche Güter verwendet. Auf dem Gelände der früheren Gärtnerei wurde ein Sägewerk errichtet. Eine Geflügelzucht wurde versucht.

In das Hauptgebäude ist die Verwaltung der Fischereigenossenschaft eingezogen. Von hier wird die Arbeit in den umliegenden Seen organisiert. Nach den Äußerungen des Leiters Banacek ergibt die Fischzucht und der Verkauf nicht genügend Gewinn.

In letzter Zeit wurden auf einem bunten Prospekt auch Gästzimmer für Übernachtungen im Hauptgebäude angeboten. Man hat den Eindruck, dass es viele Bemühungen gibt, um über die Runden zu kommen, man steht aber offenbar immer wieder vor großen Schwierigkeiten.


  • Güntersberg - Häuserverzeichnis

Güntersberg war mit über 1300 Einwohnern eines der größten Dörfern im Kreis Crossen. Ein Häuserverzeichnis existiert handgezeichnet im Großformat in der „Stiftung Brandenburg“ in Fürstenwalde. Es wird hier nicht weiter darauf eingegangen.

Als weitere noch verfügbare Quelle verfügen wir über das "Einwohnerbuch des Kreises Crossen/Oder - Ausgabe 1926", das nebenstehend angeklickt werden kann.

Man erkennt in diesem Einwohnerbuch, dass Güntersberg "ein großes Schifferdorf" war.

Es gab dort im Jahre 1926 neben 27 Bauern ungefähr:
   •  39 Schiffseigner
   •  47 Schiffer
   •  23 Steuermänner.

Für interessierte Leser, die im Einwohnerbuch nach ihren Vorfahren suchen, ein kleiner Hinweis:

1. Doppelklick auf das Einwohnerbuch von Güntersberg (Rechts)  ⇒   das Einwohnerbuch wird geöffnet.
2. Danach sollte man die Schriftgröße im Einwohnerbuch entsprechend verändern: (bei gedrückter Strg-Taste ist das Mausrad zu drehen!)


  • 1945 - Die Flucht aus Güntersberg

Nachfolgend wird ein Bericht der Güntersbergerin Erika Nicksch verh. Schmidt aus dem „Heimatblatt 2015 Heft 3 wiedergegeben. Sie beschreibt darin in ihren Aufzeichnungen ihre Flucht vor den Russen bis kurz vor die Elbe bei Schwanheide. Begebenheiten während der amerikanischen, englischen und russischen Besetzung werden genannt.
Nach Kriegsende ist es nicht zu einer Rückkehr in ihr Heimatdorf Güntersberg gekommen.

Am 3. Februar 1945 abends 23 Uhr bekamen wir den Befehl, nur mit Handgepäck auf allerschnellstem Wege unser schönes Güntersberg zu verlassen, da der Russe schon in unserer Nähe war. Das war der allerschwerste Gang in unserem bisherigen Leben. Da wir schon die russischen Panzer rollen hörten, liefen wir voller Angst und Bangen um unser Leben, ohne noch viel mitzunehmen.
Wir waren von unserer großen Familie nur noch vier Personen: Vater, Mutti, Werner und ich. Erich, Kurt, Gerhard, Günter und mein Mann Paul zogen vor Jahren in den Krieg, und jegliche Verbindung zu ihnen war nun abgebrochen.
Per Fuß mit Handwagen ging es zum Bahnhof Crossen/Oder. Den Schäferberg hoch hielt sich Mutter Paschke so am Wagen fest, dass wir ihn kaum noch schaffen konnten. Gegen 4 Uhr morgens rollte bereits unser Flüchtlingszug in Richtung Berlin. Berlin brannte lichterloh. es wurde in der Nacht bombardiert. Wir wurden umgeleitet und landeten in Döberitz Verschiebebahnhof. In Elstal und Elsgrund bekamen wir Quartier bei Oberst Bethge, Elsgrund, Zeppelinstr. 2.

Doch o Graus, dort war es auch bald aus, denn am 23. April, früh 6 Uhr, ging unsere Flucht weiter über Dyrotz und Nauen. Das erste Quartier war in Ribbeck in einer Baracke. Ein Gerücht kam auf, wir könnten wieder zurück, unsere Soldaten schlagen die Russen zurück. Voller Hoffnung machten wir von Marta Zeese ein Fläschchen leer. Doch alles war nur leeres Gerede, die Flucht ging weiter über Friesack, Giesenhorst, dort haben wir in einer Scheune übernachtet.
Die Straße von Ribbeck glich fast einer Todesstraße. Von Bordwaffen erschossen, lehnten junge Arbeitsdienstmädchen im Auto, tote Soldaten am Straßenrand. Bomben- und Bordwaffenbeschuss fand statt, wir waren Freiwild.

Am 25. April ging es weiter durch Neustadt/Dosse, dort haben wir sehr viele deutsche Soldaten getroffen. Wir fragten sie, ob unsere Jungs oder Paul vielleicht dabei sind. Weiter nach Zernitz, nachts 12 Uhr in der Kirche vor dem Altar übernachtet. Marta Zeese war auf der Bank eingeschlafen und runtergefallen. Früh 4 Uhr weiter nach Rehfeld, dort in einer Scheune übernachtet. Am 27. April ging es bis Beckenthin, hier Quartier in einer Scheune bis zum 1. Mai.
Da ich stark erkältet war und eine Angina hatte, bekam ich ein Bett bei Frau Schulz. Am 1. Mai abends ½ 9 Uhr ging es eilig fort. Der Russe war wieder ran. Frau Schulz gab uns noch einen Topf Milch. Diesen nahm Mutti in der Hand mit, unterwegs tranken wir jeder einen Schluck. Unterwegs übernahm unser Vater von der Frau Kern, die zwei Pferde und Wagen hatte, das Fahrzeug, und wir durften unsere Koffer darauf laden. Deutsche Soldaten wollten uns junge Leute mit dem Auto mitnehmen, aber wir wollten die Eltern nicht verlassen. Die Nacht und den nächsten Tag wurde durchmarschiert, über Perleberg, Karstädt nach Grabow. Dort lagen wir nachts fest auf der verstopften Straße. Am 5. Mai Mittag kam dann endlich der Amerikaner.

Der Russe war nur 2 km von uns entfernt. Unaufhörlicher Kanonendonner, wir hatten große Angst. Spät am Abend machten wir Halt am Straßenrand beim Feuer. Früh 6 Uhr weiter, 7 km furchtbarer Sandweg durch den Wald. Der Ami erklärte sich bereit und spannte seine Autos vor die Wagen. Abends 6 Uhr war es endlich geschafft. wir waren völlig erschöpft.
Uns klauten sie einen Eimer mit Erbsen und Fleisch von unserem Wagen. Schweinerei, wir hatten nichts zu essen. Quartier unter freiem Himmel an einem See. Das Wetter war kalt und regnerisch. Vater hatte so einen großen Hunger, er kochte sich noch Pellkartoffeln. Geschlafen wurde auf dem Wagen und auf der Erde. Drei betrunkene Amis ließen uns keine Ruhe. Früh weiter über Lübtheen nach Garlitz, hier Quartier in der Scheune bei Bauer Schönberg.
Am Dienstag, 8. Mai, war Gustav Bretag abhanden gekommen. August Mertsching wurde krank, wir mussten ihn dort im Quartier zurücklassen. Weiter ging es über Bremseberg, Quassel und Pritzier. Hier Quartier auf einem großen Gut. Mutti und Werner nachts in einem Stall auf Schafsmist geschlafen. Wir beide mit Vater schliefen auf dem Wagen.

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      Güntersberg - Dorfansicht
Hier mussten wir bleiben bis Befehl kam. Es durfte keiner einkaufen gehen. Vom Ami bekamen wir zu Mittag ein kleines Stück Brot. Wenn wir hier nur erst weg könnten. Mit zwei Italienern machten wir Bekanntschaft. Wir hatten Gelegenheit Rhabarber zu brechen und bekamen dann auch welchen für uns. Gekocht wurde auf Mauersteinen unter freiem Himmel. Brennmaterial war knapp unter so vielen Flüchtlingen.
Plötzlich am Freitag, dem 11. Mai, 11 Uhr, ging es weiter in Richtung unbekannt. Wir hatten gehofft, es geht nach der Heimat. Wir waren enttäuscht. Es ging weiter Richtung Hamburg. 5 km weiter, auf einem Gut war wieder Halt. Draußen gekocht, auf Wagen und unter diesem geschlafen, Brot wurde uns zugeteilt. Das Wetter war gut.
Am Sonntag, dem 12. Mai, große Hitze, wir haben einen Hasen gefangen und gebraten. Plinze gebacken, ein Festessen,vom Amerikaner hatten wir Öl bekommen. Mit Zeeses, Noacks, Bretags und Kanitz blieben wir auf unbestimmte Zeit zusammen. Das Ungewisse, was wird aus uns, wo sind die Jungs? Sind sie noch am Leben, zermürbt uns.
Wir mussten angeben: von wo wir sind und wo wir hinwollen. Vorläufig erst mal wieder nach Döberitz. Der Russe soll bis zur Oder zurückgehen.
Montag, 13. Mai. Die Parole ging um, dass wir Pfingsten schon auf der Reise nach Döberitz sind. Ob das stimmt? Keinen Gedanken, Pfingsten erleben wir in aller Traurigkeit. (Sieben Wochen im Laubwald unter freiem Himmel zugebracht) Ein paar Plinze gebacken. Margarine hatten wir noch. Nach Hagenow und Lübtheen 12 km gelaufen, um einzukaufen, die Füße voller Blasen. Jetzt kam schlechtes Wetter, oft Regen.
Unsere Bude aus Reisig hielt nicht dicht, die Betten wurden pitschnass. Am schlimmsten war es in der Nacht zum dritten Pfngstfeiertag, ein Gewitterregen. Am 28. Mai immer noch am gleichen Ort, mussten wir angeben, wo unser letzter Wohnort war. Wir fürchteten, dass wir nicht mehr nach Hause können.

Am 29. Mai darf niemand auf die Straße. 45 000 gefangene deutsche Soldaten marschierten auf der Chaussee, sie wurden in Pritzier auf dem Bahnhof verladen, sie sollten nach England zu Aufbauarbeiten. Niemand durfte ihnen zuwinken. die Einwohner nicht aus dem Fenster sehen. Ein stures Volk, die Mecklenburger, sie gaben nichts ab und schlossen ihre Pumpen an. Auf dem Feld haben wir junge Kohlrabi-Pflanzen gesammelt, die Bauern wollten sie umpflügen. Dreimal davon gekocht, schmeckt gut.
Am 1. Juni bauten wir eine neue Bude. Michel, ein netter tüchtiger Ukrainer Junge, hat uns tüchtig geholfen. Am 4. Juni mussten die vier Ukrainerjungen abrücken, sie wollten nicht und versteckten sich in unserer Bude. Um Michel tat es jeden leid, auch er hatte Tränen in den Augen. Früh 5 Uhr mussten wir nach Futter für die Pferde fahren. Brunnes und Meusels Kinder sowie Werner ritten auf Pferde wie die wilde Jagd.
Am 1. Juni löste der Engländer den Ami ab, die Mädels aus der Reihe 11 schoben mit den Soldaten ab, bekamen dafür Lebensmittel. Am 5. Juni gab es zum Mittag Rührkartoffeln mit Keulchen. Neue Parole: Der Russe soll das Gebiet hier besetzen. Alle haben Angst, manche sind sogar mit ihrem Treck abgefahren. Es war Unsinn, die Verhandlungen mit den Russen waren noch nicht abgeschlossen.
Dann wurde ich krank, dolle Halsschmerzen. Bin zum englischen Arzt gegangen, der pinselte mit Jod. Es wurde schlimmer, ich habe fünf Tage in der Bude gelegen und mit Kartoffeln und Leinsamen gewärmt bis der Hals aufging. Bei Regen haben wir uns in der Bude mit der Pferdedecke zugedeckt.

Donnerstag, 14. Juni, Günters Geburtstag. Ich war erlöst und gesund. Wo wird Günter seinen 18. Geburtstag verleben? Mutti ist einen Tag Pflanzen verziehen gegangen, dafür gab es einen Liter Milch. Neue Parole: Das ganze Lager soll geräumt werden.
Am Sonntag, 17. Juni, machten wir eine Spazierfahrt nach Lager Quassel. Dort besuchten wir Murkses, Koges und Schichholz aus Merzdorf. Die Freude war groß. Jetzt werden Trecks zusammengestellt nach Boizenburg.
Mittwoch, 20. Juni, fuhr der erste ab zur Fliesenfabrik. Wir mit Brummes und Meusels kamen am Freitag weg. Aber Boizenburg war schon voll, 8 km weiter nach Schloss Gresse, schönes Dörfchen, Pferde und Wagen unter freiem Himmel. Schlafgelegenheit im Schloss im Saal auf Liegen, 34 Personen. Früh 7 Uhr wecken, alles raus, Stubendienst ausfegen, Mittwoch und Sonnabend wischen.
Sonntag, 24. Juni, bekamen wir Sirup von der Brennerei, pro Mann 1 Liter für 1,50 RM, Rindfleischverkauf im Schloss auf Marken, viele Blaubeeren gesammelt, Sonntag gab esGrießflammerie und Blaubeeren.

Starkes Gerede, der Russe kommt bis hierher. Montag ist die Elbe freigegeben. Jeder, der dort Verwandtschaft hat und rüber will, muss sich einen Schein ausschreiben lassen. Wir wollten auch los, aber Brummes hielten uns zurück. Ach, was sollen wir tun, zum Russen wollen wir auf keinen Fall. Möchten nach Hamburg-Bramfeld, aber ob wir dort aufgenommen werden?
Neue Parole, in zwei Tagen besetzt der Russe das Gebiet. Wir stellen sofort einen Antrag. Am nächsten Tag kommen schon die Bescheinigungen, aber unsere war nicht dabei. Wir wollten ohne losfahren, aber es war vergebens, niemand durfte mehr auf die Straße.
Samstag, 30. Juni, Vormittag, war es so weit, draußen ein mächtiges Geschrei, alle kamen gelaufen »der Russe kommt«. Wir bekamen bald Herzschlag. Da kam ein Aufruf vom Lagerleiter, niemand braucht Angst zu haben, außer Naziführer und Parteileiter. Wir wollten noch abhauen. aber auf der Straße jagte uns der Tomy zurück. Wir baten ihn herzlich um Weiterfahrt. Er ließ sich nicht erweichen. Wenn wir nicht hören, macht er von der Schusswaffe Gebrauch, also ging es wieder zurück.

Sonntag gegen 10 Uhr rückte der Tomy ab und ½12 Uhr kamen die ersten Russen. Sie hielten genau vor unserer Tür. Sie kamen zu uns in den Saal und sprachen mit uns, sie konnten gut deutsch. Sonntag 16 Uhr: Wir sind verraten und verkauft. Russische Offiziere kamen, wir müssen den Saal räumen, sie wollen den Saal und Schloss belegen.
Montag früh mussten wir dann raus nach Schwanheide und wohnten da in kleinen Behelfsheimen mitten im Wald. Wir hatten mit Brummes und Sandkes eine schöne Baracke erwischt. hausten mit 13 Personen drin. Die anderen hatten Baracken ohne Türen und Fenster. Konnten da Milch, Buttermilch, Quark kaufen. In der Nacht vom 4. zum 5. Juli kamen besoffene Russen in die Baracken, eine junge Frau klopfte bei uns ans Fenster und bat um Hilfe. Wir ließen sie zum Fenster rein und waren mäuschenstill. Früh, als der Morgen graute, brachte sie Otto Sandke wieder zurück.
Oft kamen uns Russen besuchen mit einem Dolmetscher. Sonntag. 8. Juli, kam eine Kutsche mit betrunkenen Russen und hielt vor unserer Baracke. Wir jungen Frauen sprangen hinten aus dem Fenster und versteckten uns im hohen Heidekraut.

Am 6. Juli haben wir durch Zufall Arndt aus Crossen getroffen. Er war fünf Wochen in der Heimat und wurde von den Polen ausgewiesen. Er erzählte uns viel Trauriges von zu Hause und dass wir für immer heimatlos wären, das hat uns tief erschüttert. Am Sonntag kam der Kommandant gleich mit einem Dolmetscher zu uns. Ich wurde ihn nicht mehr los, sollte mit ihm spazieren gehen, nur zwei Stunden, bis ihn dann schließlich die Posten davon abhielten. Ich traf ihn dann noch mal in der neuen Heimat (Kaufladen), bin dann ausgerückt.
Neue Parole: Wir sollen hier weg, nach dem Osten, früh 5 Uhr ging es los. Und tatsächlich ging es los in Richtung Gresse, Boizenburg, Goldenitz, Redefin, Karstädt, Penslin. Dort hat ein Russenauto einen Flüchtling totgefahren. Begegnung mit Pucherts am 16. Juli mit Harmuths, Schulzes und Mertschings.
Weiter nach Perleberg, Düpow, Groß Werzin, hier beim Bauer in der Scheune übernachtet. Nächsten Tag weiter über Kuno nach Döllen, großer Regen, hier einquartiert. Nur eine Nacht durften wir bleiben. Am 17. Juli früh ging es weiter.

Ja meine lieben Leser, hier hören meine Aufzeichnungen auf. Doch wie ich mich erinnern kann, haben wir nochmal bei einem Bauern in schönen weißen Betten geschlafen. Das veranlasste der Sohn, der gerade aus der Gefangenschaft gekommen war. Von dort aus wurden wir wohl nach Krams vermittelt, wo wir den Winter über blieben.
Im Frühjahr 1946 ging es dann zu Wolffs nach Vehlin. Vermittler war Gustav Stein, Schreiber beim Bürgermeister in Vehlin. Dort wurden wir wieder wie Menschen behandelt.
Im Oktober 1946 verließ ich schweren Herzens meine drei Leidensgenossen Vater, Mutti und Werner und reiste nach Velten, denn Paul kam aus der russischen Gefangenschaft. Wir fingen beide ein neues Leben an und gründeten unsere kleine Familie. Wenn auch ärmlich, aber es ging wieder aufwärts.
  Änd 14.04.2019 17:09:54
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