Jähnsdorf

(Janiszowice)
 Titelbild

Aktuelles Kreis Crossen/Oder
mit den drei Städten Crossen Bobersberg Sommerfeld
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Jähnsdorf Jähnsdorf liegt 7 km südwestlich Bobersberg.

Von Bobersberg fährt man auf der Chaussee in Richtung Sommerfeld. Nach 6 km wird Seedorf erreicht.

In Seedorf rechts in Richtung Jähnsdorf (Janiszowice) abbiegen. Von dort gelangt man nach 1 km nach Jähnsdorf.
Doppl.Klick für Großformat des Fotos Blick auf Jähnsdorf
Die Landschaft, in der Jähnsdorf eingebettet ist, erweist sich als ansprechend und abwechslungsreich. Besonders schön ist der Blick auf den Jähnsdorfer See, dem größten See im Kreis Crossen/Oder.
Das überschüssige Wasser des Jähnsdorfer See fließt dann als Landgraben , an dem auch Hermswalde und Göhren liegen, zur Lubst. Der Landgraben ist neben dem Seegraben, dem Abfluß des Wellmitzer Sees, das zweite fließende Gewässer unseres Heimatkreises, dessen Wasser nach Süden der Lubst und damit der Lausitzer Neiße zustrebt.

Jähnsdorf befindet sich am nördlichen Rand des Jähnsdorfer Sees und hatte bei der letzten Volkszählung im Jahre 1939     332 Einwohner.
Es gehörte zum Amtsbezirk Seedorf, zu dem außer Jähnsdorf noch Daube gehörte.


  • zur Geschichte des Ortes

Die Ortsbezeichnung ist niederdeutschen Ursprungs aus dem 13. Jahrhundert. Der Name Jähnsdorf, der ganz richtig in der alten Bobersberger Chronik Jhensdorf heißt, also Jehennsdorf, Johannsdorf, entstammt dieser Zeit.
Es wird angenommen, daß Jähnsdorf bei der Gründung des Dorfes durch deutsche Siedler 17 Hufen umfaßte. 1633 gab es in Jähnsdorf 4 Bauern, 6 Gärtner und 4 Büdner.
1680 zählte es 17 Hufen, aber bis 1718 nahm man von 25 Hufen Steuern.

In der Klassifikation 1718/19 wird Jähnsdorf wie folgt erwähnt:
Seit der Reformation gehörte das reine Bauerndorf zum Amt Crossen.
1718 betrug der Grundbesitz des Schulzen, Hans Schultze, zwei Hufen. von den 13 Bauern besaßen 11 je eine, 2 nur ½ Hufe. Auch der Bauernschäfer hatte nur ½ Hufe Land.

Die Namen der 13 Bauern lauteten 1718:
Schultze, Pohlan, Jetschke, Schultze, Schneider, Weinke, Kokoth, Philipp, Urlitz, Rogall, Kommel, Kay, Noack.
Die 6 Gärtner hießen:
Müller, Schultze, Petrick, Prediger Nicolei, dazu ein Küster und ein Krüger.
Die 3 Büdner hießen:
Oppel, Pauke und Müller.

Auf einer Hufe (ca. 30 Morgen) hielt man als V i e h    2 Pferde,2 Ochsen, 3 Rinder,12 Schafe,  3 Schweine,und 3 Gänse. Durch Handel mit Kien suchten die Jähnsdorfer sich in der Stadt einen kleinen Nebenverdienst zu schaffen.
Außer den erwähnten Einwohnern gab es noch 5 Hausleute (Tagelöhner) und 2 Ausgedinger.
Das Ergebnis der Zählung von 1718 ergab wieder 17 Hufen, die wohl auch die ursprüngliche Größe darstellten.
Jähnsdorf

Im Bratring 1806 wird Jähnsdorf wie folgt erwähnt:

Jähnsdorf Jähnsdorf hatte im Jahre 1806: 10 Ganzbauern, 2 Halbbauern,
7 Kossäten, dazu Büdner, Einlieger und eine Schmiede.

Jähnsdorf hatte 1806:  21 Feuerstellen  192 Einwohner


In der “Topografischen Übersicht des Reg.Bez. Frankfurt/Oder” aus dem Jahre1840 erscheint:
  ♦ Im Jahre 1840 hatte Jähnsdorf 47 Wohngebäude und 286 Einwohner.
  ♦ Jähnsdorf war Dorf und hatte eine Windmühle.

Für das Jahr 1852 werden genannt: Jähnsdorf = Dorf zum Rent-Amte Crossen mit 329 Einwohner.


  • Die Kirche in Jähnsdorf

Mächtig und trutzig stand und steht die Jähnsdorfer Kirche im Ort und in der Landschaft. Der im Kern spätmittelalterliche rechteckige Findlingsbau mit dem zinnengekrönten quadratischen Turm an der Westseite.
Die ehrwürdige alte Kirche hatte nach einem Bericht von 1649 ein Dach, das halb aus Ziegeln und halb aus Schindeln bestand. Sie war nach dem Dreißigjährigen Krieg "sehr baufällig, dachlos und brüchig".
Doppl.Klick für Großformat des Altar Altar Diese Kirche ist offenbar im 17. Jahrhundert durchgreifend umgebaut wurden, worauf die Wetterfahne mit der Jahreszahl 1660 auf dem Dachfirst hindeutete. Der ganzen Süd- und Nordseite waren eine Anzahl nebenkapellenartiger Anbauten vorgelegt, deren ursprüngliche Zweckbestimmung nicht mehr bekannt ist. Zuletzt diente eine davon als Sakristei, während je zwei andere die Aufgänge zu den Emporen enthielten. Die stichbogigen Fenster waren zum großen Teile bleiverglast. Das Mittelschiff war mit einer Voutendecke versehen, die Emporen dagegen flachgedeckt. Der Kanzelaltar und die Taufe waren schlicht gehalten.

Schließlich gingen hier nicht nur die Einwohner der beiden am großen See gelegenen Ortschaften Jähnsdorf und Seedorf, sondern auch die Dachower, Dauber, Preichower und Wellmitzer zum Gottesdienst. Die von Schegeln und Schwirze sollten es nach der amtlichen Kirchspieleinteilung ebenfalls tun.

Doch zumindest die Schegelner sind dem Vernehmen nach an den Feiertagen ins für sie nähergelegene Kanig im Kreis Guben gewandert, um dort Gottes Wort zu hören. Ab 1815 verlief ja keine Staatsgrenze mehr zwischen ihnen und dem einst sächsischen Nachbardorf.
Außerdem bestand in Hermswalde eine Tochterkirche, die von den Jähnsdorfer Pfarrern mitversorgt werden mußte.
Wenden wir uns jetzt kurz den Pfarrern zu:
In einem alten Sommerfelder Protokoll war angegeben, daß der “andächtige und ehrsame Pawil, Pfarr zu Jensdorf im Jahre 1454 dem Hans Zimmermann ... verkauft habe”.
Die Nachrichten über die ersten evangelischen Pfarrer sind unklar. Es scheint, daß einer von ihnen Martin Luban oder Lupan war.
1581 wurde im Schöppenbuche eine Pfarrerswitwe Urban aus Jähnsdorf erwähnt, 1587 und 1597 Johann Auge, Pfarr in Jensdorf. 1589 - 1602 Johannes Oculus;
1602 - 1609 Johann Schellachius
Danach gab es noch u.a. mehrere Pfarrer mit dem Namen Nikolei.
Jähnsdorf Kirche Kirche Jähnsdorf Pfarrhaus Pfarrhaus

1936 - 1945 hieß der Pfarrer von der evangelischen Pfarrei mit Kirche Herbert Zerna . Seinen Vorgänger Pfarrer Gühloff trieb die NS-Herrschaft 1936 in den Selbstmord.


  • Infrastruktur

Jähnsdorf war ein von der Landwirtschft geprägter Ort. Außer den Bauern hatte jeder Handwerker oder sonstige Berufstätige etwas Landwirtschaft.
In den 1940er Jahren war Wilhelm Schulz (Jagodt) Nr 12 Bürgermeister. Die achtklassige Volksschule leitete der Lehrer und Kantor Erich Winter, zweiter Lehrer war Walter Rettig. Der Dorfpolizist zu dieser Zeit war Erich Schleusner.

Bahnhof Schule Gasthof
Jähnsdorf - Bahnhof Jähnsdorf - Schule Jähnsdorf - Gasthof
Zu erwähnen wären noch der Kriegerverein und der Radfahrerverein, welche 1933 aufgelöst wurden.
Es mangelte auch nicht an Einwohnern mit besonderen Fähigkeiten und Fertigkeiten. Nebenbei wurden Stricke gedreht, Körbe geflochten, Besen gebunden, Zinken für Rechen (Holzharken) und Rechen ebenfalls selbst gemacht. Auch Holzpantoffeln wurden gefertigt. Das brachte dem Hersteller etwas ein und war für die anderen erschwinglich.
Es gab auch einige nebenberufliche Musiker, das waren Gustav Orlitz (WiesenOrlitz), Paul Lehmann (Schuster), Artur Geike (Mauers), Paul Grätz (Kositz), Paul Orlitz (Müllers). Letzterer gab auch Musikunterricht. Sie spielten allein und zusammen, teilweise auch mit Musikern aus anderen Orten.

Doppl.Klick für Großformat Für die täglichen Bedürfnisse der Einwohner waren folgende Einrichtungen vorhanden:

1 Gasthof mit Saal
3 Lebensmittelläden, einer davon mit Bäckerei
1 Windmühle
1 Schneidemühle (Sägewerk) mit Zimmerei
2 Tischlereien
1 Stellmacher (Wagner)
1 Schmiede
1 Schuhmacher (Schuster)
1 Elektriker
2 nebenberufliche Hausschlachter
1 Fischer (der Besitzer des Jähnsdorfer Sees)
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  • Jähnsdorf - Dorfplan mit Häuserverzeichnis

Nebenstehender Dorfplan zeigt den Bestand an Häusern mit ihren Hausnummern im Januar 1945.

Allerdings hatten nicht alle Häuser in Jähnsdorf eine Hausnummer. Das Pfarrhaus mit Kirche und die Schule unterlagen nicht der Numerierung.

In der unten folgenden Tafel sind sämtliche mit einer Hausnummer versehenden Häuser von Jähnsdorf mit ihren Bewohnern (Stand: 1945) aufgeführt.

Die Tafel zeigt die Häuser in der Reihenfolge aufsteigender Hausnummern.


Pro Haus wurde in den drei Spalten eingetragen:

   Hausnummer, Name der Familie, Torsaule(evtl. Beruf)

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1a Schulz, Anna ElliSchulz   24 - - - Acker   50 Noack, Otto Grätzes  
1b Schulz, Wilhelm OnkelSchulz   25 Petersilie, Ernst Gabels   51 Land von Bartig  
2 Mertsching, Otto Sorges   26 Krüger, Otto Schmieds   52 Acker von Schulz,Wilh  
3 Kositz, Willi   27 Schwiegk, Anna Nitschkes   53 Radan, Wilhelm    
4 Schulz, Albert Pisters   28 Hahn, Friedrich Grehes   54 Redlich, Wilhelm Bands  
5 Röming, Berta Moracks   29 Grätz, Friedrich Paulischs   55 Schulz, Richard Kiras  
6a Schneider, Fritz Falz   30 Dreyer, Pauline     56 Blasche, Gustav    
6b Hahn, Otto Rademachers   31 Noack, Willi Geikes   57 Schulz, Emma Hilfes  
7 Kramke, Paul BäckerNoacks   32a Grätz, Gustav Lehmanns   58 Lubisch, Erich Sabatkes  
8 Kublenz, Gustav Gastwirt   32b Lehmann, Paul Schusters   59 Kalkutschke, Paul    
9 Pfennig, Ernst   33 Kalkutschke,Franz Schuhmacher   60 Andro, August    
10 Schüler, Alfred   34 Kositz, Gustav Orlitz   61 Röming, Wilhelm Hirschs  
11 Petrick, Gustav Kaspricks   35 Marggraf,Bernhard Thuriams   62 Schulz, Gustav PlanNoacks  
12 Schulz, Wilhelm Jagodts   36 Geike, Artur Mauers   63 Kommol, Paul    
13a Hahn, Erich Lorenz   37 Kramke, Willi     64 Grätz, Friedrich Schwiegks  
13b Noack, Friedrich Forms Laden   38 G e m e i n d e h a u s     65 Walter, Paul PisterSchneiders  
14 Grätz, Otto Beyers   39 Merkel, Paul Klimkes   66 Ewald, Kurt Fischers  
15 Noack, Paul Karnes/Kern   40 Kommol, Willi     67 Becker, Friedrich TischlerBeckers  
16 Kühn, Friedrich Bartligs   41 Redlich, Gustav Niebuschs   68 Redlich, Wilhelm MalRedlich  
17 Noack, Robert Sorges   42 Orlitz, Paul Tischler   69 Orlitz, Gustav WiesenOrlitz  
18 Schischke, Berta Mockschans   43 Noack, Friedrich Stellmacher   70 Grätz, Paul Kositz  
19 Schneider, Paul Philips   44    Noacks Garten   71 Neumann, Otto    
Schleusner, Erich Polizei   45 Lächel, Otto      - Zerna, Herbert Pfarrer Pfarrhaus  
20 Schulz, Otto Kriskes   46 Dreyer, Paul GassenSchulzes    - Winter, Erich Lehrer Schule  
21 Redlich, Ewald Werners   47 Grätz, Wilhelm Zettiers    - Rettig, Walter Lehrer Schule  
22 Blaschke, Adolf     48 Blaschke, Paul          
23 Schulz, Berta Brülkes   49 Noack, Richard Orlitz          



  • Walter Rettig - » der Sänger vom Jähnsdorfer See «

Eine bekannte Persönlichkeit im Südkreis von Crossen/Oder war der Lehrer, Dichter, Jäger und Fotograf Walter Rettig.
Walter Rettig wurde am l8. März 1909 in Gassen, einem Nachbarort von Sommerfeld, aber im Kreis Sorau liegend, geboren. Seine Eltern zogen jedoch bereits 1912 in die Nachbarstadt Sommerfeld um. Walter Rettig wuchs in Sommerfeld auf und besuchte das dortige Realgymnasium (Bismarckschule), das er mit der mittleren Reife abschloß. Danach machte er das Abitur in Wahlstatt bei Liegnitz. Anschließend ließ er sich an einer Fachhochschule in Kiel zum Volksschullehrer ausbilden.
Seine erste Lehrerprüfung legte er noch vor 1930 ab. Damals herrschte ein Überangebot an Junglehrern in Deutschland. Viele, die das Pädagogik-Studium abgeschlossen hatten, standen dem Gespenst der Arbeitslosigkeit gegenüber. Finanzielle Hilfe vom Staat gab es nicht. Zu Hunderten, ja, zu Tausenden versuchten die jungen Leute in Fremdberufen unterzukommen.
Walter Rettig löste das Problem, indem er eine Stelle als Fischerei-Lehrling an einem ostpreußischen See antrat. Dort dürfte er in seinem Element gewesen sein, das hörte man aus seinen schlichten, begeisternden Schilderungen. Er griff damals schon zur Feder und veröffentlichte eine ganze Reihe von Erlebnissen und Forschungsberichten, vor allem in einem ostpreußischen Fischereifachblatt. Er schloß die Lehre mit der Fischerei-Gehilfenprüfung erfolgreich ab. Nebenbei absolvierte er noch eine Jägerprüfung.

Ab 1933 bestanden endlich günstigere Unterbringungsmöglichkeiten für die Junglehrer. Walter Rettig brach daraufhin seine Zelte in Ostpreußen ab. Nun begann für ihn seine Junglehrer-Zeit, die ihn ab 1930 u.a., in die Kreis-Crossener Ortschaften Kurtschow, Sommerfeld und Thiemendorf führte.

In Kurtschow verließ zum 1. Mai 1933 nach etwa zwölfjähriger Tätigkeit Lehrer Arthur Benkendorf die Schule. Während des folgenden Jahres herrschten, was die personelle Besetzung anbetraf, geradezu katastrophale Zustände.
Sieben Junglehrer - jeweils etwa 25 Jahre alt - gaben sich "die Klinke in die Hand". Die meisten von ihnen blieben nicht länger als ein bis zwei Monate. Dann wurden sie anders wohin versetzt.
So erschien im Frühsommer 1933 ein junger Mann. "Rettig, ich bin von der Regierung hierher gewiesen", stellte er sich vor. Es wurde eine schöne gemeinsame Zeit. Aus dem jungen Lehrer strömte immer Frohsinn. Er besaß die Gabe, schnell mit anderen Kontakt zu bekommen. Doch die Kurtschower Zeit währte für ihn nicht lange, schon nach wenigen Wochen erfolgte seine Versetzung. Der Abschied fiel allen Kurtschower Schülern schwer.
See Idylle
Jähnsdorfer See
Im Februar 1936 erhielt er die 2. Lehrerstelle an der Schule für Jähnsdorf und Seedorf (Hauptlehrer: Erich Winter).
Die Lehrerstelle in Jähnsdorf hat Walter Rettich offensichtlich sehr gern angenommen. In dieser Landschaft zwischen Bober und Lubst waren er und seine junge Frau im weiteren Sinne daheim. Hier konnte er sich der Jagd widmen. Hier blieb er durch den großen See mit seinem zweiten Beruf, der Fischerei, verbunden. Hier wurde er mit Aufträgen der herrschenden nationalsozialistischen Partei nicht behelligt. Hier wollte und konnte er schriftstellerisch arbeiten. Die Schulkinder der beiden Dörfer respektierten den passionierten Lehrer. Eine Vielzahl von schriftstellerischen Arbeiten erschien in dieser Zeit im "Crossener Tageblatt" sowie in den in Sommerfeld und Umgebung (Kreise Sorau und Guben) verbreiteten Zeitungen.
Lehrer Rettig
Lehrer Rettig in Jähnsdorfer Schule
Zu Beginn seiner Lehrertätigkeit in Jähnsdorf hat er viele Gedichte geschrieben.
Dem von West nach Ost 1,5 km und von Nord nach Süd 1,2 km großen Bruch am Südufer des Jähnsdorfers Sees setzte der in Sommerfeld aufgewachsene Lehrer Walter Rettig mit seiner Natur- und Jagdskizze "Hinterm See" ein literarisches Denkmal. Er schwärmte vom bunten Teppich von grünen Gräsern, gelbem Hahnenfuß, weißem Wiesenschaumkraut, roten Nelken, blauen Glockenblumen und dunklen Binsen. Er schrieb ferner u. a.:

"Schön ist das Bruch und immer wieder anders, vom Frühjahr bis in den späten Herbst hinein. Es wechselt die Farben in einem fort. Wenn die Weidensträucher weiß aufblitzen und hellgrün werden, dann sind die Ackerstücke braunschwarz. Und wenn auf den Beeten der gelbe Rübsen blüht oder das weiße Heidekorn, dann tragen die Weiden schon ihr Sommerkleid. Blühen die Ebereschen an der Kreisstraße schlicht und unauffällig, dann Wogen die Wiesen in bunter Pracht. Und prahlen rote Korallen in den Baumkronen an der Chaussee, dann liegt auf den gemähten Wiesen graues dörrendes Heu."
Ein besonders begabter und fesselnder heimat- und naturkundlicher Erzähler war Walter Rettig. Leider durfte er nur kurze Zeit in Jähnsdorf unterrichten. Wenige Tage vor Beginn des Zweiten Weltkrieges wurde der Jähnsdorfer Lehrer zum Heer eingezogen. Er überstand glückhaft die Feldzüge bis 1944. Nach einem letzten Heimaturlaub im Januar 1945 blieb er bei den Kämpfen zwischen Meseritz und Züllichau vermisst. Vermutlich hat er beim Kampf in einer Alarmeinheit mit 36 Jahren sein Leben gelassen. Walter Rettieh war es nicht vergönnt, das Kriegsende zu erleben.

Der Verleger Hanns-Ulrich Wein hielt über die Jahrzehnte seiner Tätigkeit für den Heimatkreis Crossen (Oder) mit der Witwe und der Schwester des "Sängers vom Jähnsdorfer See" Briefverbindung. Er erforschte den Lebensgang des Schriftsteller-Pädagogen und trug dessen Werke zusammen. Im Jahre 1992 brachte er in seinem Verlag Erzählungen dieses Dichters heraus, die das Leben der Menschen in dieser kargen Landschaft beschreiben.
Hinterm See
Hinterm See
Das sogenannte “Rettig-Buch” mit dem Haupttitel "Heimat zwischen Bober und Lubst" fasst die schönsten landschaftsgebundenen Erzählungen zusammen und berichtet vom Leben und Wirken des Autors.


  • Jähnsdorf - Das Jahr 1945

Es war kurz vor Weihnachten 1944, als die ersten Flüchtlingstrecks aus dem Warthegau in Jähnsdorf eintrafen. Es war plötzlich eine ganz neue Situation für uns, Es konnte sich kaum jemand vorstellen, dass damit die Front unmittelbar auf uns zukam. Es mußte eine Entscheidung getroffen werden, entweder bleiben oder den Wagen packen. Von Crossen in Richtung Seedorf/Jähnsdorf bewegte sich die Front erst einmal nicht. So war es möglich, dass u. a. einige Jähnsdorfer mit dem Zug noch am 14. Februar über Crossen und Guben fliehen konnten. Andere flüchteten noch kurz vorm Heranrücken der Front mit den deutschen Soldaten.
Für den Fall des Bleibens wurden Bunker am Weg nach Schwirze gebaut, um eventuellem Beschuss zu entgehen. Ende Januar waren die Russen bereits in Crossen a.d.O. auf der anderen Oderseite. Anfang Februar setzten sich die Gespanne Richtung Guben in Bewegung. An den Bunkern angekommen, hielt man an und entschied sich, zu bleiben, nicht ahnend, welche schwerwiegenden Folgen diese Entscheidung nach sich zog. Als dann die Kälte kam, entschlossen sich die im Wald lebenden Jähnsdorfer wieder in das Dorf zu ziehen. Es wurden die Häuser am Sandweg Ortsausgang in Richtung Sommerfeld bezogen. Es waren ca. zehn Familien, die sich im Keller bei Grätz/Schwiegks einquartierten.
Ende Februar rollte die Front über uns hinweg. Die Russen stöberten uns im Keller auf und kamen mit vorgehaltener MPi die Kellertreppe herunter, doch sie taten uns nichts, kontrollierten wahrscheinlich nur auf wehrtüchige Männer und gingen wieder.
Nach dem Durchrollen der Front sind wir wieder in unsere Häuser im Dorf gezogen. Die nachfolgenden russischen Truppen führten auch in Jähnsdorf ihr schmutziges Handwerk durch. Es brannten viele der alten Strohscheunen. Sie plünderten und vergewaltigten Frauen und Mädchen. Wenn sich ihnen jemand dabei in den Weg stellte, so wurde er erschossen.

Wieder einige Tage später wurden alle arbeitsfähigen Bewohner von den Russen eingesammelt und zum Flugplatzbau nach Kanig in Richtung Guben gebracht. Ohne Rücksicht auf Alter und Geschlecht. Danach wurde auch das Gebiet zwischen Neiße und Bober als Aufmarschgebiet erklärt. Damit begann der sogenannte “Osttrieb”, d.h. auch die letzten Jähnsdorfer wurden ausgewiesen und mussten ostwärts hinter den Bober nach Kossar - die Seedorfer nach Groß Lessen - ziehen. In Kossar musste für die Russen auf einem Gut gearbeitet werden. Jetzt kamen auch die zum Flugplatzbau verschleppten Jähnsdorfer zurück.

Im Sommer erfolgte die Vertreibung der Bewohner der umliegenden Dörfer. Ungefähr 10 bis 15 Jähnsdorfer Familien, lebten mit den neu zugezogenen Polen gemeinsam in Jähnsdorf. Weitere Jähnsdorfer waren in die umliegenden Dörfer zur Arbeit verteilt worden, nur einige Familien verblieben im Ort. Das Leben war nur noch aufs Überleben eingestellt. Dabei kam es zu Annäherungen und Gemeinsamkeiten auch mit den neu angesiedelten polnischen Familien.

Der Tag der “Vertreibung” für die noch in Jähnsdorf lebenden deutschen Familien wurde erwartet. Anfang November 1946 kam vom neu eingesetzten polnischen Bürgermeister die Mitteilung, alles zusammenpacken, was man tragen konnte, und ab nach Crossen. Zum Einpacken war ja nicht mehr viel da, so wurde alles, was es an Kleidung gab, angezogen. Aber wichtig waren die alten Federbetten und noch verfügbare Lebensmittel, denn es war im November 1946 schon sehr kalt und das Ziel war unbekannt.
In Crossen wurden alle in Güterwagen verladen und es ging ab in Richtung Osten. Eine Fahrt ins Ungewisse. Beim ersten Halt war der Zug in Grünberg gelandet. Dann ging die Fahrt weiter in Richtung Südwest und wir kamen in Forst an der Neiße an. Der Empfang dort war nicht sehr menschlich. Alle Waggons mit den Menschen wurden mit Unmengen Desinfektionsmitteln eingenebelt. Dann ging die Fahrt weiter nach Bautzen und noch weiter in ein Quarantänelager in Königswartha. Das war die Station, wo jeder dachte “wir leben noch”!
Jetzt begann ganz langsam ein Leben, das man zur damaligen Zeit als normal bezeichnen konnte, nur das Essen war eine Notverpflegung. Alle hatten ständig Hunger. Nach vier Wochen der Quarantäne wurden die Jähnsdorfer aufgeteilt. Die in Kunow Kreis Crossen/Oder im Arbeitseinsatz unter den Polen lebenden letzten Jähnsdorfer Einwohner wurden erst Mitte 1947 ausgewiesen.

Ein Großteil der Jähnsdorfer zog es nach Ranies bei Schönebeck an der Elbe, was folgenden Grund hatte:
Heinz Kunze aus Ranies war im vorletzten Kriegsjahr 1944 Soldat in der Crossener Garnison und wurde im Sommer zur Erntehilfe nach Jähnsdorf abkommandiert. Dabei lernte der damals 22-Jährige die 18 Jahre junge Erna Schulz (Nr 20) kennen. Ein Jahr später: am 4. August 1945, wurde geheiratet.
Zwischen diesen beiden Zeitpunkten lagen die Besetzung Ostbrandenburgs durch die Rote Armee und die Vertreibung der Bevölkerung. Heinz Kunze stellte die Weichen dafür, dass im Zuge der Evakuierung des Crossener Südkreises, noch vor der Besetzung, seine Braut, deren Familie und mit ihr eine Reihe weiterer Jähnsdorfer Aufnahme und Unterkunft in seinem Heimatort fanden. Als dann später die im Kreis Crossen Verbliebenen und die nach der deutschen Kapitulation dorthin Zurückgekehrten aus der Heimat vertrieben wurden, suchte ein Teil der nun betroffenen Jähnsdorfer auch in Ranies Zuflucht, um unter Verwandten, früheren Nachbarn und Freunden zu sein.
Dadurch ergab es sich, dass in dem kleinen Dorf zeitweise 80 bis 85 ehemalige Jähnsdorfer wohnten. In den 1950er-Jahren wanderten zwar einige in westliche Lande ab, aber viele Jüngere heirateten im Ort oder in der näheren Umgebung. Mehrere Familien erwarben später auch in Ranies Grundstücke und bauten sich Häuser. Dadurch blieb die Crossener Südkreis-Kolonie an der Elbe südöstlich von Magdeburg bestehen.
Jene früheren Jähnsdorfer, die das Schicksal in andere Landstriche, u. a. in den Spreewald, verschlug, kennen zum großen Teil das Dorf im Bundesland Sachsen-Anhalt nicht nur durch Korrespondenz, sondern auch durch Besuche. Schließlich fanden hier mehrere Heimattreffen statt, vor der Wiedervereinigung als Familienfeiern getarnt und gleich danach 1991 als erstes offizielles Heimattreffen mit 150 Beteiligten.

  Änd 09.02.2017
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