Güntersberg
(Osiecznica) |
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Güntersberg, das große Dorf an der Fernstraße Nr.5 nach Frankfurt(Oder), liegt nur 4 km nordwestlich von Crossen. Von Crossen kommend fährt man auf der Frankfurter Chaussee. Schon bald auf der Höhe des Schäferberges erblickt man tief im Tale, von dunklem Wald und grünen Wiesen umrahmt, Güntersberg, eines der schönsten und größten Dörfer unseres Heimatkreises. Güntersberg hatte bei der letzten Volkszählung im Jahre 1939 1334 Einwohner und bildete allein den Amtsbezirk Güntersberg. Die Gemeinde Güntersberg besteht aus zwei Teilen:
In Güntersberg gab es für die Jahre bis zum 2. Weltkrieg zwischen 25 und 30 recht ansehnliche Bauernwirtschaften mit zusammen 838 Morgen Acker, 579 Morgen Wiese und 1159 Morgen Wald. Die Bauernwirtschaften waren zwischen 60 und 155, im Durchschnitt 100 Morgen groß. Man kann also bei Güntersberg, in dem ja auch eine Tuchfabrik stand, wahrlich von einem Bauern-, Schiffer- und Arbeiterdorf sprechen.
Die ursprünglich slawische Siedlung, auf Wendisch „Osnetnice“ genannt, wurde angeblich bereits 1202 als Besitz des
schlesischen Klosters Leubus bestätigt. Für Güntersberg und Münchsdorf ist jedoch nachweisbar, dass hier die Gemarkungen vom
frühen 13. Jahrhundert ab einem Mönchskloster gehörten.Wie es dazu kam, das hat bereits 1962 der anerkannte Geschichtsprofessor Walter Kuhn, der zunächst in Breslau und nach dem Kriege in Hamburg lehrte, mit seiner Veröffentlichung „Kirchliche Siedlung als Grenzschutz 1200 bis 1250“ nachgewiesen: In Ostmitteleuropa trennten bis zum Jahre 1200, so führte Professor Kuhn aus, unbesiedelte Waldgürtel die einzelnen Herrschaftsgebiete. So war es auch an Bober und mittlerer Oder, wo das Herzogtum Schlesien an die Markgrafschaften Meißen und Brandenburg grenzte. Da ganz genaue Grenzen nicht bestanden, errangen jene Fürsten Gebietsgewinne, die ihre Siedler in die Grenzwälder eindringen ließen. Herzog Heinrich I. der Bärtige, der Ehemann der späteren Heiligen Hedwig, bemühte sich, sein Grenzland zu erschließen, indem er u.a. bei Crossen und auch westlich der erst später gegründeten Stadt Frankfurt/Oder Gebiete zur Besiedlung an Klöster und an den Templerorden vergab. So bestätigte er wohl 1202 die Schenkung des Raumes von „Osnetnice“ - das ist das Gebiet beiderseits
der Oder in der Gegend der Biele-Mündung - an das Kloster Leubus. Dieses Kloster liegt rechts der Oder zwischen Breslau
und Glogau, wurde 1175 gegründet und ist die Keimzelle aller späteren Zisterzienser-Klöster in Schlesien. Vielleicht haben sie von hier aus auch das jenseits der Oder gelegene Gebiet von Münchsdorf und Sorge
regiert. Ihre kolonisatorischen Aktivitäten wirkten sich bis in die Gegenden von Messow und Zettitz, wo die Überlieferung
ihnen die Anlage der ersten Karpfenteiche nachsagt, aus. Dieses kurfürstliche Amt ließ die Besitzverhältnisse in Güntersberg zunächst unverändert. Vermutlich verwaltete sie die einstigen Klosterländereien vom Vorwerk und einer Försterei aus. In der Klassifikation 1718/19 wird Güntersberg wie folgt erwähnt: Güntersberg gehörte 1718 bereits dem Königlichen Amt Crossen. Es gab dort nur 32 Gärtner und 2 Büdner, aber keine Bauern. Von den Güntersberger Hofbesitzern stand geschichtlich betrachtet keinem der Titel „Bauer“ zu. Sie waren wie ihre Kollegen in Münchsdorf lediglich in jüngerer Zeit zu Landbesitz gekommene „Kossäten“. Das ist unser heimischer Ausdruck für das niederdeutsche Wort „kotsete“, den Besitzer einer „Ketten“ oder „Kate“, der im Zeitalter der Leibeigenschaft überwiegend für die „Herrschaft“ schuften musste und meist nur am Abend und am Feiertag aus seinen eigenen wenigen Morgen Land einen Ertrag schöpfen durfte. Dazu kamen mit einer Hufe Land die Amtsmühle (Kornmühle) und die Schneidemühle. Es gab noch einen Schulmeister ohne Land. In jedem Jahr wurde der Acker bestellt. Wiederholt riss die Oder Land weg, und so wurde Pachtland in der Königlichen Heide genutzt. Die Weide war eine halbe Meile vom Dorf entlegen und war, wie die Viehzucht, nur mittelmäßig.Zehn der Gärtner hatten Weinberge, die oft nur die Hälfte oder gar ein Drittel Ertrag brachten.
Gegen eine halbe Scheffel Hafer konnte Lagerholz in der Königlichen Heide erworben werden. Im Bratring 1806 wird Güntersberg wie folgt erwähnt: ♦ In Güntersberg gab es 32 Gärtner, 28 Büdner und 19 Einlieger. ♦ einen königl. Hegemeister des Forstreviers Braschen. ♦ eine Wasser- Mahl- und Schneidemühle. ♦ Güntersberg hatte: 72 Feuerstellen 457 Einwohner. ♦ Das Vorwerk hat die Gemeinde in Erbpacht. Eine bemerkenswerte Veränderung brachte diese nächste erhaltene statistische Veröffentlichung von 1806. Danach hat diese „Gemeinde“ inzwischen das gesamte Amtsvorwerk, dessen Größe nicht angegeben wurde, in Erbpacht. Daraus ist zu folgern, dass die königliche Verwaltung nach der Reformation durch Verpachtung des „Klostererbes“ die Entwicklung lebensfähiger Landwirtschaften eingeleitet hat. Sicherlich sind diese Pachtländereien dann bei der schrittweisen Durchführung der Stein'schen Reformen in den Besitz der Güntersberger Landwirte übergegangen. Aus den Kossäten wurden praktisch Vollbauern. Ferner wohnten jetzt 28 Büdner- und 19 Einlieger-Familien in Güntersberg. Sie dürften den Bewohner-Grundstock abgegeben haben für das „Neue Dorf“ nordwestlich (rechts) der Biele und südwestlich (links) der 1817/18 zur festen Chaussee ausgebauten alten Heer- und Handelsstraße Breslau – Crossen – Frankfurt/Oder - Berlin. Dieses „Neue Dorf“ mit Gasthaus und Geschäftsviertel an der Frankfurter Chaussee entstand höchstwahrscheinlich erst im 19. Jahrhundert. Sein Wachstum wurde durch die Industrialisierung und die eng damit verbundene Entwicklung der Oderschiffahrt hervorgerufen. Dafür sprechen die Art der Anlage der Straßen und die Bauweise der Häuser.Noch bis 1945 wohnten alle Bauern im „Alten Dorf“ und 85 Prozent der Schiffer im „Neuen Dorf“. Die größeren Bauernhöfe der Jahrzehnte vor 1945 sind erst nach 1815 durch Aufsiedlung des Amtsvorwerks entstanden.
In der “Topografischen Übersicht des Reg.Bez. Frankfurt/Oder” aus dem Jahre1840 erscheint: • Güntersberg: Dorf mit 810 Einwohnern, Oberförsterei und Schäferei zum Rent-Amte Crossen.
Die Kirche, ein Fachwerkbau von rechteckigen Grundriss, wurde nach der auf der Nordseite der Nordwestecke am Sockel angebrachten
Jahreszahl zu schließen, im Jahre 1816 fertiggestellt. Sie hatte ursprünglich an beiden Seiten des Daches hölzerne
Turmaufbauten.Von den beiden hölzernen Türmen über der Ost- und Westfront hat man den östlichen im Jahre 1906 angeblich
wegen Baufälligkeit entfernt.Kirche in Güntersberg In den „Kunstdenkmälern der Provinz Brandenburg Teil 6 Crossen“ wurde die Kirche wie folgt beschrieben: Die basilikalische Anlage des Äußeren kommt im Innern, das in den Seitenschiffen flach gedeckt ist, während
das Mittelschiff eine Voutendecke zeigt, weniger zur Geltung.
In Güntersberg , dem großen Dorf nahe Crossen an der Fernstraße nach Frankfurt (Oder), gab es eine gesunde Infrastruktur.
Güntersberg hatte zwei Kriegerdenkmäler
Wer die Landkarte vom Kreis Crossen studiert, findet darauf zwei Staatsforsten, den von Braschen
und den von Güntersberg. Der Braschener ist ein ziemlich geschlossenes Gebiet, das sich zwischen dem
Bober und der Gubener Kreisgrenze von der Strieming-Niederung bei Merzwiese im Norden bis zu den Chigonken-Bergen bei Jähnsdorf
im Süden erstreckt.Die Königliche Oberförsterei Güntersberg verwaltete alle nördlich der Oder gelegenen staatlichen Wälder. Die Staatsforst Güntersberg, dessen Verwaltungssitz unweit des Weißen Berges gelegen war, umfaßte drei voneinander getrennten Teile. Dazu gehörten:
Oberförsterei Güntersberg Sie kassierten im Zuge der Säkularisation Klosterbesitz ein und vergaben ihrer Adelsfamilien ledig gewordene Güter nicht neu. So entstand und wuchs das Königliche Amt Crossen. Dies umfaßte schließlich südlich der Oder den geschlossenen Raum westlich des Bobers bis zu den Chigonken-Bergen und einschließlich der Amtsstadt Bobersberg sowie unmittelbar nördlich des Stromes einen durch einige Ritterdörfer (Kähmen, Lochwitz und Merzdorf) und die Kreisstadt mit ihrem Kämmereidorf Hundsbelle zerstückelten Geländestreifen von Bindow bis Pollenzig. Durch die Stein'schen Reformen in der ersten Hälfte der 1800er Jahre wurde die bäuerliche Bevölkerung frei. Der preußische Staat aber behielt vom Königlichen Amt einiges Domänenland (Sorge) und die Forsten. Deren Bewirtschaftung organisierte er in Form der beiden Königlichen Oberförstereien, die später den Titel „Forstämter“ erhielten.Als Chef des Staatsforstes Güntersberg war vielen Kreis-Crossenern der Forstmeister Delvaux noch in guter Erinnerung, dem vor einigen Jahren unser Landsmann Rudolf Zeidler in den "Heimatgrüßen“ in Form eines Artikels ein „journalistisches Denkmal“ setzte. Sein Vorgänger von 1909 bis 1919 war der Forstmeister Ulrich von Ilten. Dieser stammte vom Rittergut Gestorf bei Hannover. Er starb 1952 im Alter von 88 Jahren in Hannoversch-Münden.
Die große Gemeinde Güntersberg, 5 km nordwestlich von Crossen an der Chaussee nach Frankfurt(Oder) gelegen, beherbergte nicht
nur Schiffer und Landwirte. In ihr fand auch von 1829 bis zum Ende des 2. Weltkriegs Textilproduktion statt. Güntersberg war
damit in gewisser Hinsicht ein Industriedorf.Die Biele vor der Gohrschen Fabrik Dort, wo wir heute die Gohr'sche Tuchfabrik finden, stand vordem die Heidemühle, eine Mahl- und Schneidemühle.
Wer sie erbaut hat, ob es die Zisterziensermönche waren, die seinerzeit in Güntersberg angesiedelt wurden, wer vermag das zu sagen! Bielewehr: Wasserkraft für die Gohrsche Fabrik 1828 ging die Heidemühle in Güntersberg durch Kauf in Scheiffgens Besitz über. Um die Wasserkraft
der Biele auszunutzen, wurde der Betrieb von Crossen nach Güntersberg verlegt und hier anstelle der Mühle die Fabrik gebaut.
Zu diesem Zwecke kaufte Scheiffgen vom Staat ca. 200 Morgen Wald und errichtete eigens zum Bau der Fabrikgebäude und der Arbeiterhäuser
eine Ziegelei. Weil die Crossener Tuchmacher mit den immer mehr aufkommenden Tuchfabriken nicht mehr konkurrieren konnten, ging die Tuchmacherei
in Crossen nach und nach zurück. Dadurch fand die Firma Scheiffgen und Sohn nicht mehr ausreichende Beschäftigung und begann eine
Herstellung von Tuchen auf eigene Rechnung. Wohngebäude der Familie Gohr Dampfmaschine - 1936 installiert Daher wurde 1883 in Güntersberg eine Dampfmaschine aufgestellt und die Walk- und Appreturanstalt von Neubrück nach Güntersberg verlegt. Der Betrieb wurde dadurch vereinigt. Das Besitztum in Neubrück wurde verkauft. Die Fabrik war dann bis zum Ende des 1. Weltkriegs stets voll ausgelastet. Es arbeiteten bis einhundert Männer und Frauen in der Spinnerei, an den Webstühlen, in der Walke und in der Färberei. Die schwierigen Jahre nach dem 1. Weltkrieg brachten auch für die Firma “Scheiffgen & Sohn“, so hieß sie immer noch und weiterhin, manche Krise. Arnold Gohr wurde jetzt von seinem 1887 geborenen Sohn und Erben Friedrich Gohr unterstützt.Hervorgehoben zu werden verdient noch, dass die Fabrikinhaber stets bemüht waren, die soziale Lage ihrer Arbeiter zu verbessern. 1849 wurde bereits eine Fabrikkrankenkasse gegründet, 1880 eine Alters- und Invalidenversicherung. Deren Kapital ist in der Inflationszeit leider verloren gegangen. 1933 war eine neue Herausforderung zu meistern. Den Tuchfabriken war die Verwendung von Reißwolle (Lumpen) auferlegt. Die Einfuhr von Rohwolle war aufgrund der Devisenknappheit kontingentiert worden. So wurden nun neben den guten Zivilstoffen Skitrikots hergestellt. Sie bestanden aus Baumwolle und der Reißwolle.Fritz Gohr (1887 - 1960) In den 1930er Jahren führte die Vergrößerung der Wehrmacht dazu, dass in der Fabrik auch wieder Militärtuche hergestellt wurden.
Im Jahre 1937 konnte Fritz Gohr eine neue Dampfmaschine kaufen, das Werk besaß nun eine moderne Kraftanlage. Den Sowjets fielen die Fabrikgebäude, das Wohnhaus und auch die Ställe der nebenbei betriebenen Landwirtschaft unbeschädigt in die Hände. Es wurde auch nicht gezündelt wie an andern Orten. Die Russen sollen das Anwesen noch zwei Jahre in Besitz gehalten haben. In dieser Zeit wurden die Webstühle und die Maschinen demontiert und abtransportiert. Die Polen übernahmen dann die leeren Hallen und die anderen Gebäude. Sie wurden zunächst mehr oder weniger verschiedenartig genutzt. So wurden die Fabrikhallen als Lager für landwirtschaftliche Güter verwendet. Auf dem Gelände der früheren Gärtnerei wurde ein Sägewerk errichtet. Eine Geflügelzucht wurde versucht.In das Hauptgebäude ist die Verwaltung der Fischereigenossenschaft eingezogen. Von hier wird die Arbeit in den umliegenden Seen organisiert. Nach den Äußerungen des Leiters Banacek ergibt die Fischzucht und der Verkauf nicht genügend Gewinn. In letzter Zeit wurden auf einem bunten Prospekt auch Gästzimmer für Übernachtungen im Hauptgebäude angeboten. Man hat den Eindruck, dass es viele Bemühungen gibt, um über die Runden zu kommen, man steht aber offenbar immer wieder vor großen Schwierigkeiten.
Güntersberg war mit über 1300 Einwohnern eines der größten Dörfern im Kreis Crossen. Ein Häuserverzeichnis existiert
handgezeichnet im Großformat in der „Stiftung Brandenburg“ in Fürstenwalde. Es wird hier nicht weiter darauf eingegangen.Als weitere noch verfügbare Quelle verfügen wir über das "Einwohnerbuch des Kreises Crossen/Oder - Ausgabe 1926", das nebenstehend angeklickt werden kann. Man erkennt in diesem Einwohnerbuch, dass Güntersberg "ein großes Schifferdorf" war. Es gab dort im Jahre 1926 neben 27 Bauern ungefähr: • 39 Schiffseigner • 47 Schiffer • 23 Steuermänner. Für interessierte Leser, die im Einwohnerbuch nach ihren Vorfahren suchen, ein kleiner Hinweis:
1. Doppelklick auf das Einwohnerbuch von Güntersberg (Rechts) ⇒ das Einwohnerbuch wird geöffnet.
Nachfolgend wird ein Bericht der Güntersbergerin Erika Nicksch verh. Schmidt aus dem „Heimatblatt
2015 Heft 3 wiedergegeben. Sie beschreibt darin in ihren Aufzeichnungen ihre Flucht vor den Russen bis kurz vor die Elbe bei
Schwanheide. Begebenheiten während der amerikanischen, englischen und russischen Besetzung werden genannt. Wir waren von unserer großen Familie nur noch vier Personen: Vater, Mutti, Werner und ich. Erich, Kurt, Gerhard, Günter und mein Mann Paul zogen vor Jahren in den Krieg, und jegliche Verbindung zu ihnen war nun abgebrochen. Per Fuß mit Handwagen ging es zum Bahnhof Crossen/Oder. Den Schäferberg hoch hielt sich Mutter Paschke so am Wagen fest, dass wir ihn kaum noch schaffen konnten. Gegen 4 Uhr morgens rollte bereits unser Flüchtlingszug in Richtung Berlin. Berlin brannte lichterloh. es wurde in der Nacht bombardiert. Wir wurden umgeleitet und landeten in Döberitz Verschiebebahnhof. In Elstal und Elsgrund bekamen wir Quartier bei Oberst Bethge, Elsgrund, Zeppelinstr. 2. Doch o Graus, dort war es auch bald aus, denn am 23. April, früh 6 Uhr, ging unsere Flucht
weiter über Dyrotz und Nauen. Das erste Quartier war in Ribbeck in einer Baracke. Ein Gerücht kam auf, wir könnten wieder
zurück, unsere Soldaten schlagen die Russen zurück. Voller Hoffnung machten wir von Marta Zeese ein Fläschchen leer.
Doch alles war nur leeres Gerede, die Flucht ging weiter über Friesack, Giesenhorst, dort haben wir in einer Scheune übernachtet. Da ich stark erkältet war und eine Angina hatte, bekam ich ein Bett bei Frau Schulz. Am 1. Mai abends ½ 9 Uhr ging es eilig fort. Der Russe war wieder ran. Frau Schulz gab uns noch einen Topf Milch. Diesen nahm Mutti in der Hand mit, unterwegs tranken wir jeder einen Schluck. Unterwegs übernahm unser Vater von der Frau Kern, die zwei Pferde und Wagen hatte, das Fahrzeug, und wir durften unsere Koffer darauf laden. Deutsche Soldaten wollten uns junge Leute mit dem Auto mitnehmen, aber wir wollten die Eltern nicht verlassen. Die Nacht und den nächsten Tag wurde durchmarschiert, über Perleberg, Karstädt nach Grabow. Dort lagen wir nachts fest auf der verstopften Straße. Am 5. Mai Mittag kam dann endlich der Amerikaner. Der Russe war nur 2 km von uns entfernt. Unaufhörlicher Kanonendonner, wir hatten große Angst. Spät am Abend machten wir Halt
am Straßenrand beim Feuer. Früh 6 Uhr weiter, 7 km furchtbarer Sandweg durch den Wald. Der Ami erklärte sich bereit und spannte
seine Autos vor die Wagen. Abends 6 Uhr war es endlich geschafft. wir waren völlig erschöpft. Güntersberg - Dorfansicht Plötzlich am Freitag, dem 11. Mai, 11 Uhr, ging es weiter in Richtung unbekannt. Wir hatten gehofft, es geht nach der Heimat. Wir waren enttäuscht. Es ging weiter Richtung Hamburg. 5 km weiter, auf einem Gut war wieder Halt. Draußen gekocht, auf Wagen und unter diesem geschlafen, Brot wurde uns zugeteilt. Das Wetter war gut. Am Sonntag, dem 12. Mai, große Hitze, wir haben einen Hasen gefangen und gebraten. Plinze gebacken, ein Festessen,vom Amerikaner hatten wir Öl bekommen. Mit Zeeses, Noacks, Bretags und Kanitz blieben wir auf unbestimmte Zeit zusammen. Das Ungewisse, was wird aus uns, wo sind die Jungs? Sind sie noch am Leben, zermürbt uns. Wir mussten angeben: von wo wir sind und wo wir hinwollen. Vorläufig erst mal wieder nach Döberitz. Der Russe soll bis zur Oder zurückgehen. Montag, 13. Mai. Die Parole ging um, dass wir Pfingsten schon auf der Reise nach Döberitz sind. Ob das stimmt? Keinen Gedanken, Pfingsten erleben wir in aller Traurigkeit. (Sieben Wochen im Laubwald unter freiem Himmel zugebracht) Ein paar Plinze gebacken. Margarine hatten wir noch. Nach Hagenow und Lübtheen 12 km gelaufen, um einzukaufen, die Füße voller Blasen. Jetzt kam schlechtes Wetter, oft Regen. Unsere Bude aus Reisig hielt nicht dicht, die Betten wurden pitschnass. Am schlimmsten war es in der Nacht zum dritten Pfngstfeiertag, ein Gewitterregen. Am 28. Mai immer noch am gleichen Ort, mussten wir angeben, wo unser letzter Wohnort war. Wir fürchteten, dass wir nicht mehr nach Hause können. Am 29. Mai darf niemand auf die Straße. 45 000 gefangene deutsche Soldaten marschierten
auf der Chaussee, sie wurden in Pritzier auf dem Bahnhof verladen, sie sollten nach England zu Aufbauarbeiten.
Niemand durfte ihnen zuwinken. die Einwohner nicht aus dem Fenster sehen. Ein stures Volk, die Mecklenburger, sie gaben nichts
ab und schlossen ihre Pumpen an. Auf dem Feld haben wir junge Kohlrabi-Pflanzen gesammelt, die Bauern wollten sie umpflügen.
Dreimal davon gekocht, schmeckt gut. Am Sonntag, 17. Juni, machten wir eine Spazierfahrt nach Lager Quassel. Dort besuchten wir Murkses, Koges und Schichholz aus Merzdorf. Die Freude war groß. Jetzt werden Trecks zusammengestellt nach Boizenburg. Mittwoch, 20. Juni, fuhr der erste ab zur Fliesenfabrik. Wir mit Brummes und Meusels kamen am Freitag weg. Aber Boizenburg war schon voll, 8 km weiter nach Schloss Gresse, schönes Dörfchen, Pferde und Wagen unter freiem Himmel. Schlafgelegenheit im Schloss im Saal auf Liegen, 34 Personen. Früh 7 Uhr wecken, alles raus, Stubendienst ausfegen, Mittwoch und Sonnabend wischen. Sonntag, 24. Juni, bekamen wir Sirup von der Brennerei, pro Mann 1 Liter für 1,50 RM, Rindfleischverkauf im Schloss auf Marken, viele Blaubeeren gesammelt, Sonntag gab esGrießflammerie und Blaubeeren. Starkes Gerede, der Russe kommt bis hierher. Montag ist die Elbe freigegeben. Jeder, der dort
Verwandtschaft hat und rüber will, muss sich einen Schein ausschreiben lassen. Wir wollten auch los, aber Brummes hielten uns
zurück. Ach, was sollen wir tun, zum Russen wollen wir auf keinen Fall. Möchten nach Hamburg-Bramfeld, aber ob wir dort
aufgenommen werden? Montag früh mussten wir dann raus nach Schwanheide und wohnten da in kleinen Behelfsheimen mitten im Wald. Wir hatten mit Brummes und Sandkes eine schöne Baracke erwischt. hausten mit 13 Personen drin. Die anderen hatten Baracken ohne Türen und Fenster. Konnten da Milch, Buttermilch, Quark kaufen. In der Nacht vom 4. zum 5. Juli kamen besoffene Russen in die Baracken, eine junge Frau klopfte bei uns ans Fenster und bat um Hilfe. Wir ließen sie zum Fenster rein und waren mäuschenstill. Früh, als der Morgen graute, brachte sie Otto Sandke wieder zurück. Oft kamen uns Russen besuchen mit einem Dolmetscher. Sonntag. 8. Juli, kam eine Kutsche mit betrunkenen Russen und hielt vor unserer Baracke. Wir jungen Frauen sprangen hinten aus dem Fenster und versteckten uns im hohen Heidekraut. Am 6. Juli haben wir durch Zufall Arndt aus Crossen getroffen. Er war fünf Wochen in der
Heimat und wurde von den Polen ausgewiesen. Er erzählte uns viel Trauriges von zu Hause und dass wir
für immer heimatlos wären, das hat uns tief erschüttert. Am Sonntag kam der Kommandant gleich mit einem Dolmetscher zu uns.
Ich wurde ihn nicht mehr los, sollte mit ihm spazieren gehen, nur zwei Stunden, bis ihn dann schließlich die Posten davon abhielten.
Ich traf ihn dann noch mal in der neuen Heimat (Kaufladen), bin dann ausgerückt. Im Frühjahr 1946 ging es dann zu Wolffs nach Vehlin. Vermittler war Gustav Stein, Schreiber beim Bürgermeister in Vehlin. Dort wurden wir wieder wie Menschen behandelt. Im Oktober 1946 verließ ich schweren Herzens meine drei Leidensgenossen Vater, Mutti und Werner und reiste nach Velten, denn Paul kam aus der russischen Gefangenschaft. Wir fingen beide ein neues Leben an und gründeten unsere kleine Familie. Wenn auch ärmlich, aber es ging wieder aufwärts. |
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Änd 14.04.2019 17:09:54
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